Beni Wullschleger
Stabübergabe bei der Schifferzunft zur Woog in Aarburg
Vom 26. Februar bis 4. März herrscht wieder Ausnahmezustand in Olten: Die Fasnacht hält Einzug und mit ihr Obernaar Cosi Nostra von der Guggi Zunft. Das Motto «Guggi Mafia» verspricht sowohl eine Reise in die gloriosen Mafia-Zeiten der 20er-Jahre, aber auch eine gehörige Portion Selbstironie.
Olten Von aussen gibt das Zunftlokal der Guggi Zunft – gleich ennet der Stadtgrenze in Trimbach, unscheinbar gelegen unter einer Autogarage – nicht viel her. Doch wer das Lokal betritt, merkt sofort, dass hier tagein tagaus geschuftet und geplant wird, denn die Guggi Zunft will mit ihrem Motto «Guggi Mafia» ihre Spuren hinterlassen. Via Werkstattraum, in welchem dem Umzugsfahrzeug der letzte Schliff verliehen wird, geht's hinein in die eigentliche Zunftstube, an dessen Wänden Erinnerungen an frühere Obernaaren, weitere verdiente Zünftler sowie Wagenbaupreise hängen.
«Hier drin kannst du verweilen», sagt Cosimo Fiordiriso (48) vor Ort, welcher an der diesjährigen Fasnacht als Obernaar «Cosi Nostra» das Sagen hat. Er tritt in die Fussstapfen von Sepp «Seppelin» Niggli, dem letzten Obernaar der Guggi Zunft im Jahr 2006. «Zu dieser Zeit wurde quasi eine neue Ära in unserer Zunft eingeläutet», erinnert sich Fiordiriso. «Gleichzeitig feierten wir unser 50-Jahr-Jubiläum und machten unsere ersten CD-Aufnahmen.» Nach diesem «höhefloog», so das Motto im Obernaaren-Jahr 2006, habe es in Olten mehrere Stimmen gegeben, dass die Zunft in sich zusammenfallen werde. «Als Antwort darauf haben wir uns ein Jahr später trotzig als Samurais unter dem Motto ‹Mer kämpfe witer› verkleidet», erinnert sich Fiordiriso.
Im Folgejahr wurde wieder ein Brikett an positivem Grössenwahn nachgelegt: «Wir brauchten ein neues Zunftkleid. Da wir eine der grössten Zünfte der Stadt sind, bedeutet dies rund 100 neue Einkleidungen, was entsprechend ins Geld geht», so Fiordiriso. Nachdem sich in der Region aufgrund des hohen Stückpreises kein passender Anbieter finden liess, trat er in Kontakt mit einem amerikanischen Betrieb, der mitunter auch «Marching Bands», also marschierende Blasorchester an Colleges, ausrüstete. «Da es noch kein WhatsApp, keine Videocalls etc. gab, tauschte ich mich nächtelang mit dem Unternehmen aus, denn alle Kleidermasse mussten genau stimmen.»
Als die Zunft schliesslich die aus Übersee gelieferten Paletten beim Flughafen Zürich abholte und mit ihren neuen Uniformen daherkam, fehlte allerdings noch das gewisse Etwas, um dem Motto «Touchdown» zum nötigen Glanz zu verhelfen. Also engagierte man die Tambouren aus Zofingen, die beim Umzug als Drumline vorneweg liefen, genauso wie einen Turnverein, der für die Cheerleader besorgt war. Bereits damals «genoss die Guggi Zunft den Ruf, mit der grossen Kelle anzurichten. Entsprechend sorgte sie mit dieser Aktion bei anderen Guggen nicht nur für Begeisterung.» Ein Umstand, der ein Jahr später wiederum mit einer ordentlichen Prise Selbstironie ins Sujet aufgenommen wurde: Als Lego-Figuren kostümiert zog die Zunft durch die Stadt, hatte dabei aber den ersten Buchstaben des Klettbausteinherstellers weggelassen: «Ego».
Inzwischen sind die kritischen Stimmen fast gänzlich gewichen. Die Guggi Zunft und die weiteren fasnächtlichen Organisationen pflegen ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Oder wie es Fiordiriso ausdrückt: «Wir sind eigentlich ‹gäbigi Sieche›.» So lud die Guggi Zunft vor der Fasnacht alle Cliquen ins Zunftlokal zur Sänger-Stubete ein, um gemütlich miteinander zu verweilen. Zudem wurde in der Vorweihnachtszeit ein Wichteln mit den FUKO-Cliquen durchgeführt. «Dabei haben die Höckeler für uns ein grandioses Video im Mafia-Stil gedreht, bei welchem wir Tränen gelacht haben.» Weiter sollen die Cliquen, die zum gegenseitigen Wichteln gezogen wurden, demnächst gemeinsam etwas unternehmen, um den Zusammenhalt unter den Fasnächtlern zu stärken.
Erstmals so richtig intensiv zu spüren bekam Cosimo Fiordiriso die Fasnacht bereits im Kindesalter. «An der Dorffasnacht in Rickenbach, wo ich aufwuchs, schoss mir ein anderer Bube ein Raketli ins Auge. Der Grossteil der Fasnacht war somit für mich gelaufen – kein Kinderumzug, keine Chesslete, keine Mehlsuppe. Am Sonntag konnte ich, verkleidet als kleiner Cowboy, dann aber doch noch dem Umzug im grossen Olten beiwohnen. Der damalige Obernaar ‹Ueli 1› von der Säli-Zunft – da er Hühner züchtete wurde er von allen liebevoll ‹Hüenerueli› genannt – kam auf dem Umzugswagen daher und warf, wie es so üblich ist, Leckereien ins Publikum. Nur waren es diesmal nicht nur Sugus oder Orangen, sondern ich hielt plötzlich ein echtes, ekliges Hühnerbein in den Händen. Unvorstellbar heute, aber ich hatte eine ‹Schiisfreude› daran und wusste, Fasnacht ist genau mein Ding.»
Mitte der 90er-Jahre war es dann so weit. Mit seinem besten Freund André Hess wurde Cosimo Fiordiriso in die Guggi Zunft aufgenommen. «Doch als Jungspunde mussten wir uns entsprechend beweisen und Projekte liefern. Jeder fängt als kleines ‹Nastüechli› an und entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einer riesigen Maschine.» So sei André Hess schon früh im Zunftrat involviert gewesen und stampfte den Guggilari aus dem Boden, der bis heute jedes Jahr Fans auf die bevorstehende Fasnacht heissmacht. Cosimo Fiordiriso wiederum habe für das Zunftlokal einen Töggelikasten angeschafft. «Das tönt auf den ersten Blick vielleicht nicht so spektakulär. Aber wenn ich vorrechne, wie viel Kleingeld bis zum Weiterverkauf in den Münzschlitz geworfen wurde, war es eine der besten Investitionen, welche die Zunft je getätigt hat», schmunzelt Cosi Nostra.
Während Cosimo Fiordiriso beruflich viel vor dem PC sitzt, kann er sich in der Zunft umso kreativer entfalten. So hat er in diesem Jahrtausend bisher praktisch alle Mottos der Guggi Zunft verantwortet. Gemeinsam mit einem Kreativteam werden dabei Richtlinien vorgegeben, damit sich alle Abteilungen der Zunft – Wagenbau, Sänger, Musik, Laternen – aufeinander abstimmen. «Ich hatte nie das Bedürfnis, zuvorderst stehen zu müssen, denn so war ich flexibler und hatte mehr Freiheiten.» Dann sei er jedoch langsam in ein Alter gekommen, in dem er sich gefragt habe, wo er der Zunft und der Oltner Fasnacht noch zusätzlich etwas beisteuern könne. Und so steht er nun hier – als Obernaar Cosi Nostra, mit dem Fasnachtszepter, dem «Mäni», in der Hand.
«Guggi Mafia» lautet das Motto nun also in diesem Jahr, was laut Cosi Nostra 100 Prozent zur Guggi Zunft passt, da sie die Dinge gerne an sich reisse und auch viele stadtbekannte Mitglieder habe. Umgesetzt werden soll das Motto mittels einer authentischen Geschichte im stilvollen 20er-Jahre-Mafia-Setting. Dass das Leben eines Obernaars nichtnur aus «Winke-Winke»-Gesten auf dem Umzugswagen besteht, zeigt sich alleine schon daran, dass Cosi Nostra bisher 45 Reden für seine Auftritte geschrieben hat, wobei der Grossteil bereits vor der eigentlichen Fasnachtswoche zum Einsatz kam. Überhaupt hat die Infiltration der Stadt schon längst begonnen, denn Cosi Nostra und seine Trabanten haben bereits im Vorfeld alle Guggen und Zünfte der Region besucht und ihnen ein wohlwollendes Präsent mitgebracht (nein, es war kein Pferdekopf wie in «Der Pate», sondern eine Kiste Wein). Hinzu kamen etliche Gespräche und Besuche bei sehr vielen Sponsoren im vergangenen Sommer. «Diese Unterstützung erhalten wir nicht, weil wir in diesem Jahr den Obernaar stellen, sondern weil wir uns seit Jahrzehnten mit Leib und Seele für die Fasnacht engagieren und die Partnerschaften mit unseren Partnern und Sponsoren pflegen», so Cosi Nostra. Nach weit über 30 Sitzungen des Obernaaren-Teams, teils bis nach Mitternacht, soll an der Fasnacht daher auch alles reibungslos über die Bühne gehen. «Ich habe keine Angst, auf den Stadtturm zu steigen und Hunderte Leute zu unterhalten, sondern davor, dass irgendwo irgendein Knopf nicht gedrückt wird. Es kann halt auch mal was in die Hose gehen, bei dem was man geplant hat.»
Was genau Mafia-Boss Cosi Nostra und seine Bande vorhaben, darüber ist dem Obernaar noch nicht viel zu entlocken. «Speziell wird sicherlich die Flüsterkneipe im oberen Bereich der Schlosserei mit stimmungsvoller Live-Musik werden, die nur mit einem speziellen Guggi-Mafia-Pin betreten werden darf», freut sich Cosi Nostra. Eine «Flüsterkneipe» war eine illegale Bar, die während der Prohibition in den USA (1920‒1933) existierte. «Besonders emotional wird der Naarestopf mit der Proklamation auf dem Stadtturm, da ich auf viele meiner Familienmitglieder herunterschauen werde, die in unterschiedlichen Zünften zuhause sind. Jede Zunft macht aus dem Naarestopf ihr eigenes Ding, sei es in Form einer Lichtshow oder indem man sich vom Turm abseilen lässt – genial! Mir ist einfach wichtig, dass wir als Zunft Freude haben an dem, was wir tun. Aber im Grunde betrachte ich die gesamte Fasnachtswoche wie einen langen Tag, den ich als Ganzes geniessen werde. Daher geht mein Dank nicht zuletzt an meine Zunftbrüder, die mich seit 30 Jahren mit meinen Ideen erdulden und mir diesen Tag ermöglichen.»
Cosi Nostras abschliessender, grosser Wunsch ist, dass der Fasnachtstradition in Zukunft weiterhin Sorge getragen wird. «Die Trommler und Pfeifer haben es aktuell sehr schwer, ihr Fundament zu erhalten, da der Nachwuchs fehlt. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht genügsam werden, uns um die Traditionen kümmern, aber auch neue Ideen zulassen, damit die Oltner Fasnacht auch in 50 Jahren noch die Leute zu begeistern vermag.» Doch fürs Erste soll nun die aktuelle Fasnacht gefeiert werden – egal ob mit oder ohne Hühnerbeine.
Von David Annaheim
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